Im Zuge eines wachsenden Bewusstseins für die Natur und Umwelt, werden immer mehr Naturräume renaturiert. Dass der Mensch an einigen Stellen zu sehr in den ursprünglichen Lauf der Natur eingegriffen hat, wird immer deutlicher. Um die Artenvielfalt zu erhalten und der Natur mehr Lebensraum zurückzugeben, versucht man das natürliche Ökosystem wiederherzustellen. So auch bei den Renaturierungsmaßnahmen in den Tiefwerder Wiesen. Das natürliche Überschwemmungsgebiet der Havel, ist das letzte Laichgebiet für Hechte Berlins. Durch die zunehmende Bebauung der Wiesen, wurden die ansässigen Tiere und Pflanzen immer mehr zurückgedrängt.
Die Tiefwerder Wiesen befinden sich im Nord-Westen Berlins. Nördlich der Heerstraße an der neuen Havelkanalbrücke verlaufen sie in Richtung IKEA Spandau und östlich bis zum Wasserwerk an der Havelchaussee. Das Gebiet ist aufgrund der zahlreichen kleinen Kanäle, die es durchziehen auch als „Klein Venedig“ bekannt. Als Landschaftsarchitekten haben wir seit 1995 schrittweise die Renaturierung im Auftrag des Bezirksamts Spandau durchgeführt. So konnte das Überschwemmungsgebiet Tiefwerder Wiesen zum Landschaftsschutzgebiet (LSG) umgewandelt werden. Dabei wurden bereits vorhandene Wege entsiegelt und saniert, die Uferbereiche renaturiert, Spundwände entfernt und eine Steganlage, sowie eine Aussichtsplattform gebaut.
Vor nur hundert Jahren befanden sich die Tiefwerder Wiesen in einem ausgedehnten Landschaftsgebiet, im alten Mündungsdelta der Spree in die Havel. Das Gebiet war von zahlreichen kleinen Flussläufen durchzogen, die in jedem Frühling die angrenzende, ausgedehnte Wiesenlandschaft überfluteten. Diese alljährlichen Überschwemmungen brachten nicht nur Nährstoffe auf die Wiese, sondern waren auch ein unverzichtbarer Faktor für den Artenschutz. Denn die ansässigen Hechtpopulationen nutzen die überschwemmten Wiesen, um dort ihren Laich abzulegen. Wenn das Wasser zurückfloss, folgten die jungen Fische seinem Verlauf und schwammen in die nahegelegenen Flüsse.
Neben den Hechten nutzten aber auch zahlreiche andere Tiere die Wiesen und Überschwemmungsgebiete als ihren Lebensraum.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Gebiet mehr und mehr bebaut. Es entstanden Laubenkolonien anstelle der Wiesen, die teilweise noch heute existieren. Um eine Besiedlung und Bebauung der Wiesen zu ermöglichen, wurden viele der natürlichen Flussläufe trocken gelegt. Es wurden befestigte Straßen durch die Natur gezogen. Um das Flussufer zu begradigen und zu begrenzen, wurden Spundwände eingesetzt. Zusätzlich dazu wurde die Ufervegetation großflächig entfernt. So war die natürliche Funktionsweise des Überschwemmungsgebiets Tiefwerder Wiesen nicht mehr gegeben. Diese Form der Nutzung der Gegend verdrängt nicht nur das natürliche Ökosystem, sondern stellt auch eine Gefahr für die heimische Artenvielfalt dar.
Das Hauptziel von Renaturierungsmaßnahmen ist es, die Natur in einen Zustand zu bringen, der weitestgehend dem Ursprungszustand gleicht. Das bedeutet, dass die menschlichen Eingriffe in die Natur zurückgebaut werden. Potenziell vorhandene Lebensräume für die heimische Flora und Fauna sollen wiederhergestellt werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, können bestehende Bauten abgerissen werden, Pflanzen und Tiere angesiedelt werden oder gebietsfremde Pflanzen entfernt werden.
Die Renaturierung eines Gebiets hat große Vorteile. Neben der Entsiegelung der Landschaft, wirken sie gegen Monokulturen (wie reine Nutztierweiden) vor. Sie sind in vielen Fällen ein exzellenter Kohlenstoffspeicher und dienen zum Erhalt von gefährdeten Tier- und Pflanzenarten. Neben ihrem Beitrag zum Artenschutz haben sie aber noch einen weiteren immensen Vorteil. Denn renaturierte Gebiete sind artenreich und aus diesem Grund weniger anfällig für Umweltkatastrophen wie Hochwasser. Diese Stabilität macht sie auch weniger für längerfristige Veränderungen in der Umwelt wie den Klimawandel anfällig.
Renaturierungsmaßnahmen sind natürlich allein nicht in der Lage das Artensterben aufzuhalten, aber sie leisten einen wichtigen Beitrag. Sowohl zum Artenschutz, als auch zu einer verstärkten Sensibilität für die Natur tragen sie bei. So konnte über die Jahre mitten in der Stadt ein Refugium entstehen, welches die Natur weit in den urbanen Raum trägt.
Ein wichtiger Teil der Renaturierungsmaßnahmen waren die alten Wege. Da die meisten Wege durch Pflastersteine, Asphalt oder Beton versiegelt waren, wurden diese entsiegelt. Die vermehrte Versiegelung des Bodens verhindert, dass Regenwasser natürlich im Boden versickern kann und führt somit zu Überschwemmungen oder Überlastungen der Kanalisation in kürzester Zeit.
Einige Teile der Wege konnten in ein neues Wegenetz integriert werden. So konnte ein neuer Rundwanderweg entstehen, der die Tiefwerder Wiesen mit dem benachbarten Naherholungsgebiet von Pichelswerder verbindet.
Die Fläche war durch einen quer durch die Wiesen verlaufenden, befahrbaren Damm geteilt worden. Um diese Teilung rückgängig zu machen und die Wiesenflächen wieder miteinander zu verbinden wurden der Damm entfernt.
Die neuen und reduzierten Wege legen den Fokus auf die Natur und machen deutlich, dass der Mensch Besucher in diesem Gebiet ist.
Da die ursprünglichen Flussverläufe durch Spundwände befestigt wurden, mussten diese entfernt werden. Spundwände dienen dazu, eine Verbreiterung der Flüsse zu verhindern und den Flusslauf in seinen jetzigen Grenzen festzusetzen und einzuengen. Die Spundwände haben den Nachteil, dass sie oft eine physische Grenze zwischen Ufer und Wasser bilden. So können viele Tierarten die Spundwände nicht überbrücken und den Fluss oder das Ufer nicht erreichen.
Dasselbe Problem stellten neben den Spundwänden, auch die betonierten Uferzonen dar. Aus diesem Grund wurde der Beton aufgebrochen. Es wurde sichergestellt, dass es den Tieren möglich ist aus dem Fluss ans Ufer zu gelangen und andersherum.
Eine weitere wichtige Arbeit, war das Roden gebietsfremder Pflanzen. Es wurden umfangreiche Rodungsarbeiten durchgeführt. Im Zuge dieser wurden Rückschnittsarbeiten vorgenommen und neue gebietsheimische Pflanzen angesiedelt. So konnte gebietsfremdes Gehölz zurückgedrängt und die ursprüngliche Flora wiederhergestellt werden. Die artenreichen, offenen Wiesenlandschaften, bieten Lebensraum für zahlreiche Pflanzenarten.
Da kleineren Flussläufen die Verlandung drohte wurden diese vertieft. Dies wurde mithilfe spezieller Amphibienfahrzeuge entschlammt. Die Flussläufe wurden so ausgebaut, dass sie auch im Sommer Wasser halten können und nicht austrocknen.
Um die beiden Naherholungsgebiete Tiefwerder Wiesen und Pichelsdorf zu verbinden, wurde eine 250 Meter lange Steganlage gebaut. Diese führt durch einen Schilfgürtel und über zwei Flussarme hinweg. Mithilfe dieser Steganlage werden die Besucherwege am Rande des Gebiets kanalisiert, so dass die Wiesenlandschaften selbst vor dem Betreten durch die Besucher geschützt werden. Über dieses Stegsystem können die Besucher bequem von Tiefwerder zu der bewaldeten Anhöhe von Pichelswerder gelangen und die Natur genießen, ohne sie zu beschädigen.
Weitere Steganlagen wurden nahe der Havel gebaut, ebenfalls um die Besucherwege zu kanalisieren und die Weisen vor dem Durchqueren von Spaziergängern und Hunden zu schützen.
Im nördlichen Bereich des Überschwemmungsgebietes der Tiefwerder Wiesen, auf der sogenannten Margareteninsel, wurde eine Aussichtsplattform hergestellt. Neben den bereits beschriebenen Renaturierungsmaßnahmen dient diese Plattform dazu, den umliegenden Naturraum zu schützen und dennoch Raum für Besucher zu schaffen. Von der Aussichtsplattform lässt sich der „Faule See“ überblicken.
In einem Gebiet, das Renaturierung und Erholung für die Stadtbewohner gleichermaßen sichern möchte, ist es besonders wichtig dieses genau zu begrenzen. So wird die Natur und der Artenschutz erhalten und gleichzeitig haben die Menschen die Möglichkeit durch das Gebiet zu wandern. Durch designierte Wege und Plattformen ist dieser Schutz am geeignetsten gegeben.
Auf den Tiefwerder Wiesen weiden seit einigen Jahren auf zentrale Flächen Wasserbüffel. Diese Tiere, für die der feuchte Untergrund geeignete Lebensbedingungen bietet, halten die Wiesenvegetation kurz. Durch die natürliche Kürzung der Pflanzen können standortfremde Gehölze und Hochstaudenfluren nicht auf den Wiesen wachsen und die heimische Bepflanzung wird weder verdrängt noch beschädigt. Da Wasserbüffel einen partiellen Fraß haben, verbleiben immer noch ausreichend blühende Wiesenkräuter. Diese Stauden bieten sich als natürliche Insektenwiese an und ermöglichen es Bienen, Schmetterlinge und anderen Insekten Nahrung zu finden.
Ein weiterer Vorteil der Renaturierung des Gebietes ist, dass hier viele heimische Tierarten angesiedelt werden konnten. Allerdings geschieht das neben den bereits im Gebiet lebenden Tieren, deren Bestand durch die schützenden Maßnahmen gesichert wurde. Viele verschiedene Vogelarten sind im Landschaftsschutzgebiet heimisch, mittlerweile auch der Biber. Durch seine sehr selektive Nahrungswahl, unterstützt er die Beseitigung von zu dicht wachsenden Gehölzen und unterstützt das Bestehen des natürlichen Überschwemmungsgebiets.
Das Landschafts- Architekturbüro plan.b besteht seit Januar 2008.
Es ist der Nachfolger des 1970 gegründeten Büros Flechner und des im Jahre 2000 gegründeten Büros „Flechner & Brodt“
Seit dem vertraglichen Ausscheiden von Herrn Flechner aus der GbR im Jahr 2008
wird das Büro durch Steffen Brodt unter dem Namen plan.b LandschaftsArchitektur + Gutachten weiter geführt.
